Übergewichtige Frau sitzt auf dem Bett und blickt besorgt auf einen positiven Schwangerschaftstest
Unter Frauen, die mit der Abnehmspritze abgenommen haben, häufen sich die Berichte über Schwangerschaften – teils auch ungewollte.
Getty Images/Antonio_Diaz

In den vergangenen Jahren ist ein regelrechter Hype um die Abnehmspritze entstanden. Prominente schwörten auf den Effekt des Arzneimittels, und auch Fachleute sprachen von einem Durchbruch im Kampf gegen Adipositas. Zu dem Medikament, das eigentlich aus der Diabetes-Behandlung kommt, häuften sich rasch die Medienberichte. Auch DER STANDARD berichtete dazu etwa hier und hier.

Und auch aktuell liest man wieder vermehrt über das Arzneimittel. Anlass dafür sind Social-Media-Einträge von Anwenderinnen. Immer mehr von ihnen posten, dass sie seit der medikamentösen Abnehmtherapie schwanger geworden sind – teilweise gewollt, teilweise nicht. Von einem regelrechten "Ozempic-Babyboom" ist in manchen Medienberichten die Rede. Ozempic ist dabei der Handelsname für den in der Abnehmspritze enthaltenen Wirkstoff. Auch unter dem Namen Wegovy wird das Medikament in höherer Dosierung vertrieben.

Übergewicht häufiger Grund für unerfüllten Kinderwunsch

Bisher sind es nur anekdotische Beobachtungen. Belegt ist es (noch) nicht, dass das Medikament vermehrt zu Schwangerschaften führt. Aber aus medizinischer Sicht wäre diese Nebenwirkung gar nicht so überraschend, findet Michael Feichtinger, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Leiter eines Kinderwunschzentrums.

Zu sehr ähnlichen Medikamenten wie der Abnehmspritze – ebenfalls sogenannte GLP-1-Rezeptor-Agonisten – gibt es nämlich bereits seit längerem zahlreiche Studien, die bestätigen: Diese Mittel führen dazu, dass Anwenderinnen einen regelmäßigeren Zyklus bekommen, der Gewichtsverlust wirkt sich zusätzlich positiv auf die Fruchtbarkeit aus. Das weiß man aus zahlreichen Erhebungen zu Magenbypass-Operationen. "Man darf erwarten, dass der Effekt bei Ozempic ähnlich ist", sagt Feichtinger.

Denn Übergewicht hat auf mehreren Ebenen einen negativen Effekt auf einen möglichen Kinderwunsch. Bei Männern leidet die Samenproduktion, bei Frauen der Zyklus. "Insulin ist ja ein Hormon, und Fett ist ein hormonproduzierendes Gewebe. Ist der Hormonhaushalt durch Übergewicht aus dem Gleichgewicht, wirkt sich das auch auf die hormonelle Produktion der Eierstöcke aus", erklärt Feichtinger.

Tatsächlich ist bei immer mehr Paaren das Übergewicht der ausschlaggebende Faktor für einen unerfüllten Kinderwunsch. Bei etwa 20 bis 30 Prozent aller Fälle, schätzt Feichtinger, Tendenz steigend: "Wir haben im Kinderwunschzentrum eine wachsende Nachfrage von Paaren, die eine schwere Adipositas haben", berichtet er.

In der Reproduktionsmedizin greift man deshalb auch vermehrt auf Medikamente wie die Abnehmspritze zurück. "So können schwer übergewichtige Frauen vielleicht doch ohne künstliche Befruchtung schwanger werden. Die Erfolgschancen sind hoch", sagt Feichtinger.

Wirksamkeit der Pille möglicherweise vermindert

Der Babyboom unter den Anwenderinnen der Abnehmspritze könnte aber auch noch einen zweiten Grund haben. Möglicherweise beeinflusst das Medikament die Wirksamkeit der Pille, spekuliert man in Fachkreisen.

Dafür gäbe es durchaus plausible Erklärungen. Denn Medikamente wie Ozempic oder Wegovy verzögern die Magenentleerung und beeinflussen, wie Nahrung im Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. "Das könnte auch Auswirkungen auf oral eingenommene Medikamente haben und die Wirksamkeit der Pille mindern", sagt Feichtinger. Die Verhütungswirkung nimmt also möglicherweise ab, während die Fruchtbarkeit gleichzeitig zunimmt.

Hersteller vergleichbarer Medikamente raten daher Frauen, die mit Pille verhüten, zu einer zusätzlichen Verwendung von Kondomen – zumindest in der Anfangsphase der Einnahme. Auch Feichtinger rät Frauen, die die Abnehmspritze verwenden und nicht schwanger werden möchten, zu einem zusätzlichen Verhütungsmittel. Das hat auch den Grund, dass die weitere Einnahme während einer Schwangerschaft gefährlich sein könnte. Denn für Schwangere sind die Medikamente nicht zugelassen. (Magdalena Pötsch, 17.4.2024)